MS-Verlauf: Gutartig oder bösartig

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MS-Verlauf: Gutartig oder bösartig

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Bilden sich die Beschwerden nach einem MS-Schub weitgehend zurück, sprechen Experten von einem gutartigen (benignen) Verlauf. Die Patienten haben auch noch Jahrzehnte nach der Krankheitsdiagnose keine nennenswerten Beeinträchtigungen. Es kann aber auch noch Jahre nach der Diagnose zu einem schweren Schub kommen, der zu bleibenden Behinderungen führt. Verläuft die Krankheit sehr schnell mit immer weiter zunehmenden Beschwerden, die zu starken Beeinträchtigungen oder sogar zum Tod führen, handelt es sich um einen bösartigen (malignen) Multiple Sklerose-Verlauf.

Prinzipiell werden drei Arten von Multiple Sklerose-Verlauf unterschieden:

1. Schubförmiger Verlauf: In unregelmäßigen Abständen treten Beschwerden auf, die sich nach einem Schub wieder ganz oder teilweise zurückbilden.

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Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS

2. Sekundär chronisch-progredienter Verlauf: Es kommt zu einigen Schüben, nach denen sich die Beschwerden ganz oder zu einem Großteil wieder zurückbilden. Im späteren Verlauf der Krankheit verschlimmern sich die Beschwerden jedoch zunehmend. Bei einigen MS-Patienten verschlechtern sich die Symptome dann schubweise. Experten bezeichnen diesen Multiple Sklerose-Verlauf als “schubförmig progredient”. Bei anderen Patienten nehmen die Beschwerden immer mehr zu und es lassen sich keine Schübe abgrenzen.

3. Primär chronisch-progredienter Verlauf: Bei diesem Multiple Sklerose-Verlauf treten keine Schübe auf. Die Beschwerden werden von Anfang an immer schlimmer, sie entwickeln sich chronisch-progredient. Wie schnell die Krankheit fortschreitet, ist von Patient zu Patient sehr unterschiedlich.

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Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS

Neben diesen drei Verlaufsformen gibt es viele Zwischen- oder Mischformen. Am häufigsten haben MS-Patienten zunächst einen schubförmigen Verlauf, der dann in einen chronischen Verlauf übergeht (sekundär-chronisch progrediente MS).

Gut- oder bösartig – die Hinweise

Woher weiß ein Patient, mit welchem Multiple Sklerose-Verlauf er rechnen muss? Für einen günstigen Verlauf sprechen bestimmte Krankheitszeichen zu Beginn der Erkrankung wie Gefühls- oder Sehstörungen. Wenn die Beschwerden sich nach dem ersten Schub vollständig zurückbilden und nach fünf Jahren noch keine Behinderungen eingetreten sind, weist dies ebenfalls auf einen gutartigen Multiple Sklerose-Verlauf.

Treten bei einem MS-Patienten dagegen schon am Anfang der Krankheit Lähmungen auf (vor allem gleichzeitig mit Gleichgewichts- und Gangstörungen) und bleiben Beschwerden nach den ersten Schüben bestehen, spricht dies für einen ungünstigen Verlauf. Je jünger ein Patient ist, wenn die Krankheit bei ihm festgestellt wird, desto häufiger bekommt er im Durchschnitt Schübe.

Mehr zu möglichen Anzeichen für einen gutartigen beziehungsweise bösartigen Multiple Sklerose-Verlauf lesen Sie im Beitrag „Multiple Sklerose“.

MS-Schweregrad auf der Skala

Es gibt verschiedene Skalen, um den Schweregrad einer Multiplen Sklerose einzuschätzen und während des Krankheitsverlaufs zu dokumentieren. Die wichtigste Skala ist die erweiterte Behinderungsskala (Expanded Disability Status Scale, EDSS). Der Wert 0 bedeutet normale Gesundheit, der Wert 10 bedeutet, dass der Patient aufgrund der Multiplen Sklerose gestorben ist (heute sehr selten).

Tabelle – EDSS oder Kurtzke-Skala

Punktezahl Ergebnis
0,0 normaler neurologischer Untersuchungsbefund
1,0 keine Behinderung, geringfügige Störung in einem funktionellen System
1,5 keine Behinderung, geringfügige Störung in mehr als einem funktionellen System
2,0 leichte Behinderung in einem funktionellen System
2,5 leichte Behinderung in mehr als einem funktionellen System
3.0 mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung in drei oder vier funktionellen Systemen, aber vollständig gehfähig
3,5 mäßiggradige Behinderung in zwei funktionellen Systemen oder mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System und leichte Behinderung in einem oder zwei funktionellen Systemen oder leichte Behinderung in fünf funktionellen Systemen, aber voll gehfähig
4,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 500 m am Tag; während 12 Stunden aktiv trotz relativ schwerer Behinderung
4,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 300 m; ganztägig arbeitsfähig, aber mit gewissen Einschränkungen wegen rel. schwerer Behinderung
5,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 200 m; Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivitäten zu beeinträchtigen
5,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 100 m; Behinderung schwer genug um normale tägliche Aktivität zu verhindern
6,0 mit einseitiger oder zeitweiliger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 100 m
6,5 mit dauernder, beidseitiger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 20 m
7,0 nicht fähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen; weitgehend rollstuhlbedürftig, der aber ohne Hilfe benutzt werden kann, Transfer selbständig möglich
7,5 unfähig, mehr als ein paar Schritte zu gehen; rollstuhlbedürftig, der mit Hilfe benutzt wird, evtl. E-Rollstuhl, benötigt Hilfe beim Transfer,
8,0 weitgehend auf das Bett beschränkt, kann aber auch noch im Rollstuhl sitzen; pflegt sich weitgehend selbständig mit meist gutem Gebrauch der Arme
8,5 auch während des Tages weitgehend bettlägerig; teilweise selbständige Pflege mit teilweisem Gebrauch der Arme
9,0 hilflose Bettlägerigkeit, Nahrungsaufnahme und Verständigungsvermögen erhalten
9,5 völlige Hilflosigkeit mit gestörter Nahrungsaufnahme (Schluckstörungen) und Verständigung
10,0 Tod durch MS

Neurologischer Check

Wie viele Punkte ein MS-Patient in der EDSS erhält, ermittelt der Nervenarzt in der neurologischen Untersuchung. Hierbei prüft er vor allem, wie gut der Patient gehen kann, und bewertet weitere Funktionen des Körpers, die durch bestimmte Gebiete im Zentralen Nervensystem (ZNS = Gehirn und Rückenmark) gesteuert werden: Getestet werden acht Funktionssysteme, beispielsweise wie gut der Patient sieht, wie er Beine oder Arme bewegen kann, ob er Berührungen spürt oder wie gut sein Gedächtnis ist. Jedes Funktionssystem wird mit einer Zahl bewertet. Diese Bewertungen ergeben dann gemeinsam mit dem Gehvermögen des Patienten und Einschränkungen im täglichen Leben einen der 20 Punktwerte auf der EDSS (siehe Tabelle).

Folgende Punktwerte markieren wichtige Schritte auf der Skala:

• 3,0: Der Patient kann noch selbstständig gehen. Bei einem Punktwert von 4,0 kann er aber nur noch 500 Meter ohne Hilfsmittel zurücklegen.
• 5,0: Der Patient kann nur noch 200 Meter ohne Hilfe gehen. Er kann nicht mehr seine tägliche Arbeit verrichten.
• 7,0: Der Patient kann auch mit Unterstützung nicht mehr als fünf Meter gehen.
• 8,0: Der Patient ist vollends an den Rollstuhl gebunden. Die Arme kann er aber noch gut bewegen.

Ab einem Punktwert von 4,0 ist die Gehfähigkeit der entscheidende Faktor bei der Bestimmung des EDSS-Werts. Denn ab diesem Wert führen Veränderungen bei anderen funktionellen Systemen (wie Arm- und Beinbewegung, Konzentrations- und Merkfähigkeit) nicht mehr zu einer zusätzlichen Steigerung der EDSS-Punktzahl, obwohl sie auch das Wohlbefinden des Patienten beeinflussen.

Vergleicht man bestimmte Punktzahlen auf der EDSS, ist es wichtig zu wissen, dass die Skala nicht linear ist. Ein Wert von 6,0 bedeutet beispielsweise nicht “doppelt so schlimm” wie der Wert 3,0. Mathematisch ausgedrückt: Der Grad der Behinderung nimmt von Stufe zu Stufe exponentiell zu (siehe Abbildung).

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Wird bei einem Patienten die Diagnose MS gestellt, verändern sich seine Beschwerden in den ersten Jahren oft wenig. Trotzdem kann der EDSS-Wert relativ schnell ansteigen, weil die Skala auf kleine Veränderungen sehr empfindlich reagiert. Im Frühstadium einer MS kann die Skala also fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, die Multiple Sklerose schreite ziemlich rasch fort, obwohl sie dies nicht tut. Manche Patienten sorgen sich deshalb, weil sie die niedrigeren Punktwerte relativ schnell durchlaufen.

EDSS – Praktische Anwendung

Der Arzt bestimmt den Wert auf der EDSS zu Beginn der Krankheit und regelmäßig im weiteren Verlauf. So lässt sich dokumentieren, wie der Multiple Sklerose-Verlauf bei einem Patienten aussieht. Der Punktwert liefert außerdem Hinweise, wie gut Medikamente oder andere Behandlungen anschlagen. Hat der Patient einen EDSS-Wert von unter 6,0 und nimmt der Wert innerhalb von drei bis sechs Monaten um einen Punkt zu, geht man davon aus, dass die Therapie nicht gewirkt hat. Beträgt der Ausgangswert 6,0 oder mehr, weist schon ein halber Punkt Zunahme innerhalb dieser Zeit auf ein Therapieversagen hin.

Die EDSS dient aber nicht nur der Verlaufsdokumentation. Manchmal wird sie auch herangezogen, um sich für oder gegen eine Therapie zu entscheiden. So ist etwa das für die Basistherapie eingesetzte Medikament Mitoxantron in Deutschland nur zugelassen, wenn der Patient eine progressiv-schubförmige MS oder sekundär progrediente MS mit einer EDSS von 3 bis 6 hat. Bei einem EDSS-Wert von über 6 wird Mitoxantron in der Regel nicht gegeben. Die EDSS wird bei der Mitoxantron-Therapie auch herangezogen, um zu entscheiden, wann die Dosis reduziert wird.

EDSS-Werte nicht ausreichend

Die EDSS reicht nicht aus, um festzustellen, welche Auswirkungen die Krankheit auf das tägliche Leben eines Patienten hat und wie groß die Einschränkungen sind. So zeigt etwa eine Auswertung des MS-Registers, dass relativ viele Patienten, die vorzeitig berentet wurden, einen ziemlich kleinen Wert auf der EDSS hatten (> 3,5).

Diese Patienten hatten keine Einschränkungen beim Gehen und keine starke Behinderung in den Funktionssystemen. Manche Symptome von MS-Kranken berücksichtigt die EDSS nicht ausreichend, zum Beispiel wie sehr ein Patient unter Müdigkeit (Fatigue) oder Konzentrationsstörungen leidet. Diese Symptome können ebenso zu einem vorzeitigen Berufsausstieg führen wie körperliche Einschränkungen. Die EDSS ist also nur ein Mosaikstein, um das Ausmaß der Behinderung eines MS-Patienten einzuschätzen.

MSFC-Skala

Um andere Funktionen des ZNS zu überprüfen, hat sich in letzter Zeit die MSFC-Skala etabliert. MSFC steht für “Multiple Sklerosis Functional Composite” und bedeutet in etwa “zusammengesetzter funktioneller Score bei MS”. Hierbei prüft der Arzt, wie rasch der Patient eine kurze Gehstrecke (7,6 Meter) gehen kann, wie viel Zeit er braucht, um bestimmte Plättchen in entsprechende Löcher auf einer Platte einzulegen und wieder herauszunehmen (Steckbrett-Test) und wie gut er Zahlen zusammenrechnen kann, wobei ihm der Arzt alle drei Sekunden eine neue Zahl nennt (PASAT-3, paced auditory serial addition test).

Bewertete Funktion Test Durchführung
Funktion der Beine Gehstrecke Patient geht so rasch wie möglich eine Strecke von 7,6 Meter, zur Not mit Gehhilfe. Er geht die Strecke zweimal, der Untersucher berechnet den Durchschnittswert.
Funktion der Arme und der Hände Steckbrett-Test (9-Loch-Test) Mit einer Hand legt der Patient Plättchen in vorgegebene Löcher einer Platte und entfernt sie wieder. Der Untersucher bestimmt die Zeit, wie lange der Patient dafür braucht, jeweils für die rechte und die linke Seite zweimal. Daraus berechnet er den Durchschnittswert.
Aufmerksamkeit und Konzentration PASAT-3 (paced auditory serial addition test) Patient soll Zahlen im Kopf zusammenrechnen; alle drei Sekunden wird ihm einen neue Zahl genannt.

EDSS und MSFC sollten bei MS-Patienten regelmäßig erfasst werden: EDSS bei Verdacht auf Multiple Sklerose sowie im sechsten und im zwölften Monat und anschließend alle sechs Monate. MSFC ebenfalls bei Verdacht auf MS, dann im zwölften Monat und im Verlauf einmal im Jahr. Der EDSS sollte darüber hinaus bei einem Schub erfasst werden (optional auch der MSFC).

Zahlen zum Multiple Sklerose-Verlauf

Bei bis zu 90 Prozent aller Patienten zeigt sich ein schubförmiger Multiple Sklerose-Verlauf, wobei sich in den meisten Fällen die Symptome nach einem Schub wieder vollständig zurückbilden. Bei 30 bis 40 Prozent dieser Patienten wird die Multiple Sklerose nach einiger Zeit kontinuierlich schlimmer, und es treten keine Schübe mehr auf (sekundär chronisch-progredienter Verlauf). Bei einem kleinen Teil der Patienten (zehn bis 15 Prozent) verläuft die Multiple Sklerose von Anfang an ohne Schübe, sondern verschlechtert sich zunehmend (primär chronisch-progredienter MS-Verlauf).

In vielen Gesundheitszeitschriften und Medizinbüchern wird der Multiple Sklerose-Verlauf schlimmer dargestellt, als er wirklich ist. Bei vielen Patienten verläuft die Erkrankung gutartig. Die anfänglichen Krankheitszeichen und Beschwerden bilden sich im Allgemeinen fast vollständig wieder zurück. Und auch bei unvollständiger Rückbildung sind die Störungen oft verhältnismäßig gering und beeinträchtigen den Alltag der Betroffenen wenig.

Je nach Multiple Sklerose-Verlauf kann es aber auch zu zunehmenden und dauerhaften Beeinträchtigungen kommen. Allerdings führt die Erkrankung nur selten (bei weniger als fünf Prozent der Patienten) innerhalb weniger Jahre zu einer schweren Behinderung.

Multiple Sklerose: Lebenserwartung

Die Lebenserwartung wird durch Multiple Sklerose nur wenig beeinflusst. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gehen Experten von einer um sechs bis sieben Jahre verkürzten Lebenserwartung aus. Ein bösartiger Multiple Sklerose-Verlauf wirkt sich dabei negativer aus als ein gutartiger.

Daneben haben noch viele weitere Faktoren einen Einfluss auf die Lebenserwartung – bei MS-Patienten ebenso wie bei Gesunden. Dazu gehören zum Beispiel Scheidung, Arbeitslosigkeit, geringer Bildungsstand, Unzufriedenheit mit der eigenen Gesundheit sowie starker Tabak- und Alkoholkonsum.

Die Prognose der Erkrankung hängt also von vielen Faktoren ab und ist individuell sehr unterschiedlich. Selbst ein noch so guter Experte kann keine genaue Vorhersage zum Multiple Sklerose-Verlauf und zur Lebenserwartung bei einzelnen Patienten machen.

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