Zur Fatigue an sich habe ich schon unzählige Texte geschrieben, aber nun wurde mir mal wieder bewusst, dass der emotionale Anteil hier auch besonders hoch zu bewerten ist.
Die sogenannte „Emotionale Fatigue“ scheint bei mir besonders zugegen zu sein und nervt mich auch innerlich ganz enorm.
Bei der Fatigue handelt es sich bei MS um eine komplexe Störung, die sich in einem anhaltenden und meist ganzkörperlichen Gefühl physischer und/oder mentaler Erschöpfung äußert. Da es sich um ein unsichtbares Symptom handelt, ist sie nach außen auch schwer vermittelbar. Selbst MS-Patienten, die dieses schreckliche Symptom nicht, oder nicht in schwerem Ausmaß kennen, begreifen manchmal nicht, welche Spur der Verwüstung sie bei dem Betroffenen hinterlassen kann.
Die Auswirkungen der Fatigue auf die Lebensqualität sind für Betroffene teilweise drastisch und führen im Alltagsleben zu massiven Einschränkungen – soziale Kontakte müssen meist auf ein Minimum reduziert werden.
Es selbst zu erleben, und sei es zum hundertsten und abertausenden Mal, ist doch immer wieder ein „Schlag ins Gesicht“.
Es ist nicht nur eine Müdigkeit, sondern ein komatöses Gefühl mit abnormen Energieverlust, der sich willentlich nicht wieder herstellen lässt.
DAS ist wohl für mich als unverbesserlicher Optimist mit am Schlimmsten: ich kann einfach NICHTS tun, wenn solch ein „Anfall“ kommt. Ich bin und fühle mich ausgeliefert und vor allem fühle ich mich nicht mehr „Ich selbst“!
Das heißt, nicht nur mein Körper muss diesen Schlag aushalten, sondern auch meine Psyche.
Sich „schwach“ fühlen in solch einem Moment, ist nur ein unwirklicher Ausdruck für dieses Gefühl von Ohnmacht und Kraftlosigkeit.
Verminderte Fähigkeit zur Konzentration und Aufmerksamkeit; Beschwerden allgemeiner Schwäche oder schwerer Glieder; durch Müdigkeit bedingte Alltags-Schwierigkeiten; Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis; ein mehrere Stunden anhaltendes Unwohlsein nach Anstrengung – dies sind nur einige der schweren Symptome und Auswirkungen der Fatigue.
Die dazu kommenden deutlichen emotionalen Reaktionen auf die Fatigue-Problematik (z. B. Traurigkeit, Frustration oder Reizbarkeit) dürfen niemals außer Acht gelassen werden.
Von Schlafstörungen trotz abnormer Müdigkeit, mal ganz zu schweigen.
Die emotionale Fatigue ist ein Teilbereich der Fatigue, wie auch die kognitive oder motorische Fatigue. Oft sind sie gar nicht auseinander zu halten und überschneiden sich.
Ich habe festgestellt, dass mich emotional anstrengende Erlebnisse anschließend immer mit einer Fatigue beglücken.
Beispielsweise musste ich mit unserem Hund zu einem speziellen Tierarzt zwecks Blutabnahme und
Test auf Schilddrüsen-Störung fahren. Das Ganze musste morgens stattfinden, da der Hund nüchtern sein sollte.
Wer Fatigue kennt weiß, was nun folgt: das Wissen, eine weitere unbekannte Strecke alleine mit dem Auto bewältigen zu müssen, löst zumindest bei mir schon Stress aus. (Unbekannter, langer Weg – wie schaffe ich das, komme ich gut wieder zurück??? Oder macht mir meine MS und/oder Fatigue schon vorher oder während des „Ausfluges“ einen Strich durch die Rechnung? Sind meine Beine anschließend noch in der Lage, das Gaspedal zu bedienen? USW!).
Beim Tierarzt angekommen: Wartezimmer, viele Tiere – helle Aufregung, aufgeregte Frauchen und Herrchen, noch aufgeregtere Tiere usw. Und die eigenen Fähigkeiten als Hundehalter werden vor aller Augen begutachtet 😉 „Hat sie ihren Hund im Griff, hört er gut?“ 😉
Ja, mein Hund ist ein Goldstück und benimmt sich wundervoll in solchen Situationen – was ein Glück. Aber anstrengend ist es für uns beide trotzdem: ständige und 100%ige Aufmerksamkeit ist gefordert. Hallo MS, Hallo Fatigue und Hallo UNSICHTBARKEIT.
Wir werden aufgerufen und Smiley wird Blut entnommen… ich erspare Einzelheiten, aber es ist für mich schon Höchstleistung, den Hund zu beruhigen, ihn zu halten und GLEICHZEITIG den Anweisungen der Ärztin zu folgen.
Das ist für Gesunde schon stressig – für MS`ler eine echte Höchstleistung, wenn man bedenkt, wie viele Zentren in unserem geschädigten MS-Hirn nun gerade gleichzeitig arbeiten, auch wenn sie gar nicht erforderlich sind.
Anschließendes Gassi-Gehen, um die Zeit zu überbrücken, bis der erste Blut-Schnelltest fertig ist. Fremde Umgebung – das MS-Hirn kann schon nicht mehr, ist überfordert und meldet an die Beine: Kraftlosigkeit!!! Schlackern, Koordinationsstörungen.
Es meldet an ein anderes Teil des MS-Hirns: Schwindel!
Es meldet unaufhörlich – es ist geradezu besessen vom Melden. Energieverlust, Sehstörungen, Zittern, taube Hände …
ICH melde zurück: Unsinn, Ruhe jetzt!
Gegenmeldung: Du wirst nicht gefragt!
So geht es auf den 15 Minuten Spaziergang weiter; mein Hund bleibt dicht bei mir – er spürt diese Gehirn-Meldungen, er riecht sie und sie sind ihm unheimlich weil er weiß, dass höchste Anspannung besteht und PAUSE nun mehr als notwendig ist. Er ist in Alarmbereitschaft – ICH auch.
Zurück im Wartezimmer: das gleiche Spiel von vorne – und dann das erste vorläufige Ergebnis, dass diese Werte bis jetzt ok sind.
MS-Hirn: geschafft – nein, doch nicht! Erst Meldung machen!
Meldung an Tränendrüse: loslegen, Meldung an Beine: Wackeln und Kraft abwerfen; Meldung an Kopf: LEERE, nicht mehr denken können, Meldung an die Hände: Taubheit verstärken.
Ich: Ruhe jetzt!
Ich schaffe es noch, oh Wunder und Dank meiner Selbstdisziplin und vor allem Dank viel Glück, zum Auto zu stolpern, mich auszuruhen, den Hund zu streicheln und heim zu fahren. Ich schaffe es. Und bin dankbar.
Ich komme zu Hause an – und die MS macht erneut Meldung: NICHTS GEHT MEHR!!!
Smiley und ich schaffen es gerade noch bis zur Couch, halb tot und von all den Meldungen erschlagen.
Später kommt es mir dann: EMOTIONALE Fatigue. Zu viele Emotionen, zu viele Reize, die zu verarbeiten sind/waren und schwups, macht dieses blöde MS-Hirn wieder Meldung.
Ob ich meine MS mag??? NEIN!
Ich arrangiere mich und ich schaffe es auch außerhalb dieser Meldungen, ein erfüllendes Leben zu führen. Während der Meldepflicht des überpflichtbewussten MS-Hirns – da mag ich gar nichts mehr: nicht mich, denn ich bin anders und hilflos und nicht meine MS!
Ist das ein Wunder?
Wer es selbst erlebt hat, dem wird es ähnlich gehen.
Zum Glück ist dieser Fatigue-Anfall nach gefühlten hundert Tagen irgendwann vorbei … die Meldepflicht wird nicht mehr ganz so ernst genommen. Hallo MS, hallo Leben – ich komme – aber morgen erst! ©2015 Heike Führ/multiple-arts.com