Es geht. Mit MS. Manchmal.
Auf Flugreisen muss ich ja den Rollstuhlservice in Anspruch nehmen und beobachte immer amüsiert, wie sich andere Fluggäste wundern, wenn ich mich plötzlich, einer Wunderheilung gleich, aus dem Rollstuhl erhebe.
Diese Gesichtsausdrücke sind unbezahlbar und auch gleich ein Sinnbild dessen, was wir täglich mit unserer MS erleben.
Und nicht nur wir erleben das so, sondern alle Menschen, die mit uns leben oder in einer Beziehung mit uns stehen – Angehörige, Freunde, Kollegen, Nachbarn…
Mir wird von nahestehenden Personen ganz oft gesagt, dass sie meinen Wandel nicht begreifen und deshalb auch nicht einschätzen können. Eben schrieb ich noch, dass ich mit heftigem Schwindel darnieder liege, oder mich eine Fatigue ausgehebelt hat und im „nächsten Moment“ veröffentliche ich Texte, oder gehe spazieren…
Von außen betrachtet, ist das wirklich unvorstellbar und manch einem nicht so Wohlgesonnenen drängt sich sicherlich auch mal der Gedanke an das „Simulieren“ auf.
Und ganz ehrlich: ich verstehe es selbst ja nicht einmal. Ich erlebe es fast täglich, manchmal auch mehrmals täglich, aber ich begreife es nicht.
MS. Ja, mit MS ist das so: das liest man überall, mein Neurologe bestätigt mir das und von Mitbetroffenen hört man es ebenfalls.
Ein MySterium – ein Sonderfall, nicht einschätzbar, nicht kalkulierbar und nur schwer begreifbar.
Aber es IST einfach so, dass bei MS so VIELES möglich ist. So, wie MS tausend Gesicherter und Fratzen hat, so verläuft sie bei jedem Betroffenen unterschiedlich und so äußert sie sich auch bei jedem individuell verschieden und das alles an einem einzigen Tag.
Manchmal wache ich morgens völlig erschlagen auf und befürchte, dass mein Tag „im Eimer“ sei und plötzlich, wie wenn jemand einen Schalter umdreht, geht es mir so viel besser, dass ich sogar Energie habe, von der ich vor wenigen Minuten nur geträumt habe.
Umgekehrt ist das leider genauso der Fall. Von „gut drauf“ sein zu einem Häufchen Elend vegetierend.
Alles ist möglich, alles ist sehr unkalkulierbar und für uns selbst auch schwer einschätzbar.
Man kann sich niemals auf einen momentanen Zustand verlassen.
Das macht es schwierig und oft auch schmerzhaft.
Und wie oft komme ich mir wie ein Schwindler oder Hochstapler vor, wenn ich einer nicht betroffenen Freundin z.B. 3 mal am Tag eine Mail schreibe und sie sich jedes Mal wieder auf einen neuen Zustand einstellen muss.
Ich bewundere all diese Menschen, die es schaffen, sich unseren Zuständen wertfrei anzupassen, die sich zwar manchmal sicher sehr wundern, es aber einfach HIN NEHMEN.
Das Gegenteil erleben wir natürlich auch und das macht es wieder sehr schwierig für uns, weil wir uns dann noch zusätzlich erklären müssen. Noch dazu müssen wir ein Phänomen erklären, das wir selbst nicht begreifen und dessen wir uns manchmal auch schämen… Weil wir uns selbst nicht wieder erkennen und uns fremd sind… Hallo MS, hallo „Reine Nervensache“! ©2015 Heike Führ/multiple-arts.com