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* „Auch wenn Sie noch dreimal nachfragen, es wird nicht billiger!”

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Samstag: kurz einkaufen beim Discounter, weil der gute Hund keine Leckerlis mehr hat und ich ja fleißig mit ihm trainieren möchte. Aufgewacht nach einer schrecklichen schlaflosen Nacht, die mir wieder einmal meine MS recht deutlich vor Augen führte. Ich möchte mich nicht beschweren; mir geht es , seit wir unseren süßen Hund haben, insgesamt deutlich besser. Körperlich und seelisch. Aber: die kognitive Ebene hat sich irgendwie verabschiedet. Dass ich „kognitive Leistungsstörungen“ habe, ist mir schon lange bewusst und macht mir Sorgen – und ich meine: RICHTIG Sorgen,  KUMMER!

Es ist nicht schön, wenn man dem eigenen geistigen Rückschritt zuschauen muss: hilflos, verzweifelt, wütend und unendlich traurig.

Meistens kann ich es im Alltag (der ja bei mir zur Zeit nicht mehr aus Arbeiten gehen besteht) ganz gut „kaschieren“. Kaschieren bedeutet, dass ich eine Taktik entwickelt habe (was ja schon wieder eine enorme kognitive Leistung IST!) , um heikle Dinge herum zu schiffen, oder mich mit so viel Galgenhumor zu bestücken, dass aus manch einer Störung ein Theaterstück inszeniert wird. Das kostet Kraft und Energie und tut meiner Fatigue nicht immer gut, aber es hilft mir, nicht an mir selbst zu verzweifeln.
Es passieren Dinge, wie zum Beispiel, dass ich meiner Freundin nicht wie gewohnt morgens eine Mail schreibe, weil ich es schlicht und ergreifend VERGESSE. Vergesse; und das, obwohl ich den ganzen Tag an sie denke und mich frage, wie es ihr wohl geht. Gegen Abend kam dann eine SMS von ihr, ob alles ok sei … Ich habe mich geschämt, nicht vor ihr – sie weiß von meiner MS und sie sieht es mir locker nach- aber vor mir selbst! Das sind keine Kleinigkeiten mehr, so etwas passiert mir in letzter Zeit dauernd.
Heute nun: kurzer Einkauf mit wirklich nur wenigen Einkaufssachen und an der Kasse die Frage, ob ich bar bezahle, was ich tun wollte und sie nannte mir die Summe: 31,27€ So: mein MS-Hirn stellt fest:

1. gerade noch das Geld im Portemonnaie, es könnte doch knapp werden: Panik

2.: wie viel war das nochmal? 3.: Frage: „wie viel bekommen Sie?“

4.: trotz Brille  wühlen im Geldbeutel, zählen…

5.: Feinmotorik versagt in der Hektik, Geld fällt mir aus der Hand

6.: MS-Hirn registriert trotzdem noch die mittlerweile ungeduldige   Kassiererin

7.: nochmaliges Nachfragen; MS-Hirn schon verschämt

8.: Antwort:„Auch wenn Sie noch dreimal nachfragen, es wird nicht billiger“

9.: MS-Hirn: SCHAM

10.: MS-Hirn : WUT

11.: MS-Hirn: „sage ich der Kassiererin, dass sie eine Schwerbehinderte vor sich        hat?“

12.: MS-Hirn registriert, dass die Kunden drängeln und die Kassiererin schon wieder  beschäftigt ist

13.: MS-Hirn ist traurig, unendlich traurig, verzweifelt und missmutig.

 

Ja, ein kleiner Ausflug, um Leckerlis zu kaufen, endet in tiefer Trauer.

Wie immer: TRAUER um Verlorengegangenes; Trauer um den Verlust einer altersgerechten kognitiven Leistungsfähigkeit, sich – wie in diesem Fall – einen Betrag X merken zu können und dabei gleichzeitig noch andere „normale“ Dinge an einer Einkaufskasse erledigen zu können.

Aber was ist noch normal? Und was ist bei MS normal?

Und: hätte ich dieser Kassiererin mal sagen sollen, dass sie mit ihren Äußerungen vorsichtiger sein soll? Mein MS-Hirn hätte es gerne gesagt, aber mein Energiemanagement hat mir davon abgeraten: zu viel Energieverlust, bei einem sowieso extrem niedrigen Energie-Tages-Level.

Also schlurfte ich zum Auto, packte meine Leckerlis ein, fuhr nach Hause und kuschelte mich an meinen Hund. Ihm sind meine kognitiven Leistungsstörungen egal! Was ein Glück! Und mit viel Glück kann ich mich morgen gar nicht mehr daran erinnern – ich vergesse ja soooo viel 😉 Dafür sind sie dann ja gut, diese kognitiven Leistungsstörungen.