Der 5. 11.2018 – Das Drama des Gehirn-Tumores beginnt
Ein normaler Tag?
Für mich nicht: es war der Beginn eines knapp zwei Jahre dauernden Horrors… Ein Albtraum…
Ich fand nachmittags meinen Mann ohnmächtig in seinem Zimmer vor und vergesse sicherlich niemals meine Empfindungen in diesem Moment… Meine Angst und den Schock…
Ich rief den Rettungswagen und das Drama begann.
Im Nachhinein wissen wir nun, dass sein komplizierter Beinbruch im September und die Depression davor schon die ersten Anzeichen seines aggressiven Gehirntumors waren… (Bruch durch einen kleinen epileptischen Anfall passiert).
Am 5.11.2018 erfuhren wir zum ersten Mal, dass er drei äußerst schwere und seltene epileptische Anfälle hatte, die man “Status epilepticus”, oder auch “Grand Mal” nennt.
Nach Mitternacht erst durften wir nach vielen schlimmen Stunden zu ihm auf die Intensivstation und fanden einen völlig veränderten Menschen vor, der nicht bei Bewusstsein und ein Pflegefall war. Mein/unser Leben war von einem Augenblick auf den anderen Augenblick auf den Kopf gestellt…
Um es abzukürzen: Es stellte sich dann heraus, dass er ein Glioblastom hat. Den schwersten Tumor des Gehirns… Unheilbar mit einer kurzen Lebenserwartung….
Schock, Verzweiflung, Fassungslosigkeit…. Angst, Horror und Albtraum…. Und immer ein bisschen Hoffnung dabei….
Nach Gehirn-OP, Bestrahlung und Chemo hatten wir anschließend eine kleine Zeit eines Alltags…. Dieser aber war ganz anders… Traurig… Schmerzhaft…. Schwerfallend…. Kräfteraubend und Kräftezehrend – für uns beide…
Ein Prozess des Annehmens
Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie wir das geschafft haben, wie wir vor allem zu Beginn immer wieder tiefgreifend redeten… Zusammen weinten und doch auch Humor bewiesen…
Er schaute sich selbst beim Sterben zu… Und ich ihm im Sterbeprozess…
Der Tumor wuchs unaufhörlich und es gab nochmals eine Chemo, die abgebrochen wurde, da sie überhaupt nicht mehr half.
Wir hatten ja das ambulante Hospiz an unserer Seite und später dann zog er um ins stationäre Hospiz um… Ein gebrochener Mann, hilflos… Er konnte nicht mehr klar denken, nicht mehr laufen und nicht mehr sprechen… Ein Albtraum, denn noch dazu hatte er keinen Zugang mehr zu seiner geliebten Musik…
Wie ich das schaffte?
Ja, das frage ich mich ehrlich gesagt auch oft….
Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass mir in den dramatischen zwei Jahren meine durch die MS bedingt entwickelte Resilienz (Bewältigungsstrategie) geholfen hat.
Wenn man mit MS oder einer anderen chronischen Krankheit lebt, weiß man nie, was der Tag gesundheitlich noch bringen wird – ebenso weiß man nicht, was der kommende Tag oder die kommende Zeit gesundheitlich bringen wird. Bei MS kann sich der Zustand so schnell verändern, dass man sich eben noch völlig „OK“ und in der nächsten Minute am Abgrund stehend fühlt. Wenn ich morgens aufwache und SEHEN kann, heißt das nicht, dass es abends noch so ist. Es könnte sich im Laufe des Tages eine schwere Sehnerventzündung entwickeln (oder auch über Nacht – so habe ich es mal erlebt).
Wir wissen also nie, was als Nächstes auf uns zukommt und damit müssen wir leben. Ja, wir MÜSSEN damit leben, denn es bleibt uns nichts weiter übrig!
Stärken aneignen
Und nun kommen unsere Stärken ins Spiel: wenn man über dieses kreierte Szenario nachdenkt, müsste man doch schier „verrückt“ werden oder vor Angst „umkommen“! Und doch schaffen es die meisten MS`ler, diese Angst nicht überhand nehmen zu lassen, sondern sich ein GUTES Leben im Rahmen der Möglichkeiten zu erschaffen.
Ich kann das seit 1994 üben – damals hatte ich meinen ersten Schub!
Resilienz-Training
Und tatsächlich bin ich seitdem in Übung – manchmal sage ich sogar, dass es eine Art Training ist – lebenslang.
Aber so funktioniert Resilienz…. Üben und sich über kleine Fortschritte freuen und sich diese wundervollen Momente bewahren, damit man beim nächsten Tief wieder darauf aufbauen kann.
Und wenn man das schafft und beibehält, entwickelt man tatsächlich eine innere Stärke, die auch nicht mehr so schnell umgehauen werden kann. Man kann dann sogar heftigen Stürmen trotzen.
Und dieses Training, gepaart mit guter und manchmal schmerzhafter Eigenreflektion – das hat mir bis jetzt so gut durch den Ansturm der MS geholfen.
Und diese entwickelte Stärke bezieht sich ja nicht nur auf die MS, sondern wir leben nun die Stärke und können sie vielseitig einsetzen. Bewusst oder unbewusst.
Die erworbene STÄRKE nutzen
Diese Stärke, die wir nun schon so oft eingesetzt haben und die wir im besten Fall auch leben – sie hilft uns nun auch in anderen Situationen.
So habe ich im ernsten Arztgespräch in der Uniklinik erfahren, welch haarsträubende Diagnose mein Mann erhalten hat und dass (auf meine Frage hin) seine zu erwartende Lebenszeit zwischen 1-3 Jahren beträgt.
Ich sehe mich noch in dem winzigen überfüllten Arztzimmer sitzen, in dem es trotz wimmelnder Ärzte plötzlich ganz still wurde, als ich die bewusste Frage stellte.
Ich erinnere mich noch an zugwandte Blicke und irgendjemand tätschelte meinen Arm.
Ich erinnere mich noch an meinen Schock und dann an die abgrundtiefe Fassungslosigkeit…
Und ich erinnere mich noch daran, wie ich schwankend das Arztzimmer verließ und torkelnd und ausgebrannt den Gang entlang zum Zimmer meines Mannes ging…
Vor dem Zimmer hielt ich inne…. ließ meiner Verzweiflung ihren Lauf…. und sagte mir: Du hast die MS bis jetzt gemanagt, DU schaffst auch das…!
Mein Mann war kurz nach der OP zwar ansprechbar, aber er verstand nicht, was los war und ich sagte auch nichts… Das kam dann die Tage danach…. Aber auch hier sagte ich noch nichts von der zu erwartenden kurzen Lebenszeit. Das erzählte ich ihm Zuhause in gewohnter und in abgeschotteter Umgebung und auch da erinnere ich mich noch komplett an diesen tragischen Moment….
Ich hatte in dieser Zeit, als ich lange alleine Zuhause war, da er noch in der Klinik bleiben musste, viel Zeit um nachzudenken. Wir hatten schon schlimme Phasen innerhalb der kurzen Zeit erlebt… Vom Pflegefall wieder aufgestanden und durch die OP wieder zurückgeworfen.
Ich bin Realist und machte mir – nach vielem Googeln – klar, dass es in kurzer Zeit zu Ende sein wird, dass er sein Leben aushauchen müsse…. Ich stellte mich dieser Diagnose und dieser traurigen Zukunft.
Meine durch die MS erworbene Resilienz half mir nun auch hier….
„Es ist, wie es ist“ wurde einer meiner begleitenden Sätze, die für mich so viel aussagen: ich habe die Diagnose angenommen. Das heißt nicht, dass sie mich nicht umgeworfen hätte. Ich habe geweint und geschrien, war verzweifelt und selbst manchmal völlig am Ende…
Aber wir haben gemeinsam gekämpft – nicht um eine Zukunft, die wir nicht mehr haben könnten, sondern um ein würdiges, schmerzfreies und symptomarmes Hier&Jetzt und mit vielen Entscheidungen haben wir uns auch genau diesen Raum geschaffen und recht lange erhalten. Peter hat sich gegen eine erneute OP und Bestrahlung entschieden und sich damit (da er die Chemo recht gut vertrug) eine kleine Atempause verschafft….Wir konnten zwar nicht mehr viel unternehmen, aber wir hatten uns, haben sehr viel geredet und wirklich tiefgreifende Gespräche geführt, die uns beiden weitergeholfen und die Beziehung gestärkt haben.
Ich habe täglich an meiner Resilienz geübt und habe täglich, manchmal stündlich oder minütlich von ihm Abschied genommen… Immer so, wie ich es schaffte und auch zulassen konnte. Ein schwerer aber sehr reflektierter Weg. Ich habe sogar schon Planungen für das „DANACH“ erstellt, damit ich nicht in ein tiefes Loch fallen würde… (und setze sie nun gerade um).
Über Peters Erkrankung habe ich offen mit anderen geredet, habe viel wundervolles Feedback und sinnvolle Ideen (ich vermeide, diese als Ratschläge zu bezeichnen) erhalten, konnte mich sortieren.
Sortieren in all dem Drama, in der Angst und Verzweiflung und auch vor der Zukunftsangst.
Denn auch dem musste ich mich stellen: ich würde allein zurückbleiben.
Mit MS im Gepäck.
Verarbeitung
Wir sprachen auch darüber und änderten mehrfach seine Patientenverfügung, was sich als enorm wichtig herausstellte. Wir passten sie immer den neuen Symptomen und Gegebenheiten an und konnten ihm somit ein würdevolles Sterben ermöglichen, da er sich klar ausdrückte.
Zum Schluss wollte er nicht mehr übers Sterben reden – es machte ihm Angst und ich akzeptierte das…
Aber selbst als seine Sprache nicht mehr verbal vorhanden war, haben wir nonverbal kommuniziert und uns auch verabschiedet.
Wir sind UNSEREN Weg der Sterbebegleitung gegangen. Ein Weg, der für uns der richtige war.
Ich habe schreckliche unermesslich schlimme Stunden überstanden…. Auch, weil ich wusste, dass ich mich auf meine Stärke verlassen kann. Gelebte Resilienz.
Ich kann jedem empfehlen, damit zu beginnen sich Resilienz anzueignen – es ist so unendlich wichtig für die Bewältigung schwerer Schicksale. Auch dem eigenen!
Gestern habe ich mit meiner Osteopathin darüber gesprochen, dass es mir den Umständen entsprechend OK gehe…. Auch sie sagte, dass sie mich ja die ganze Zeit über betreut hätte (auch das habe ich mir gegönnt: alle 3-4 Wochen Osteopathie, für mich Wunder wirkend!) und sie beobachten konnte, wie ich tatsächlich ernsthaft Abschied nahm und mich auf alles, was da kommen möge, vorbereitet habe.
DANACH
Ich bin tatsächlich nicht in dieses befürchtete Loch gefallen. Ich weine, ich trauere…. Ich bin tief traurig und auch manchmal verzweifelt und habe auch Ängste….
Aber ich weiß, dass ich sie überwinden kann. Ich weiß, dass ich es schaffe, mich wieder aufzurichten.
Deshalb habe ich nun ja auch die Pläne zum kleinen Umbau in Angriff genommen. Denn so, wie ich es einst geplant hatte, wurde es auch tatsächlich: das alles hilft mir – gerade in der trüben Jahreszeit – weiter; es hilft mir nach vorne zu schauen und positive Perspektiven einzunehmen. Die Trauer ist da, der schwere Verlust auch. Aber das Leben geht weiter. Es ist wie es ist!
Und DANKE an alle, die UNS so sehr unterstützt haben und auch jetzt noch für mich da sind! Ihr seid großartig! 🙂
©2020 Heike Führ / multiple-arts.com
Meine Texte und Tipps zur RESILIENZ:
- https://multiple-arts.com/resilienz-krankheitsbewaltigung-bei-ms/
- https://multiple-arts.com/tag/tipps-zum-starken-der-resilienz/
- https://multiple-arts.com/tag/resilienz/
- https://multiple-arts.com/resilienz-wir-chronisch-kranken-sind-gut/
In meinen Büchern behandle ich das Thema Resilienz ebenfalls. Zum Beispiel im Buch „Akzeptanz und Bewältigung chronischer Krankheiten und Depressionen: Für Angehörige und Betroffene: Für Angehörige und Betroffene“
- Außerdem habe ich in der ganzen Zeit die Einnahme meines CBD-Öls erhöht.
Ich nahm vorher morgens 2 Tropfen des CBD-Öls Vitadol Gold 27% und erhöhte dies auf 3 Tropfen.
Mittags nahm ich immer 3-5 Tropfen des Vitadol Gold 10%. Ich steigerte es, indem ich auch mittags das 27%ige Öl mit 3 Tropfen einnahm und manchmal später nochmal vom 10%igen Öl 3 Tropfen.
So kam ich gut über die Runden und hatte eine zuverlässige Unterstützung für mehr Gelassenheit/Ruhe. Meine Fatigue wurde auf Grund der Umstände wieder schlimmer und auch hier half mir die Erhöhung.
Jetzt, seit ein paar tagen, nehme ich mittags wieder 3-5 Tropfen des 10%igen Öls und probiere aus, wie mir das bekommt.…
- Vom Neurologen wurden mir Beruhigungstabletten verschrieben, die ich auch jetzt noch nehme. Sie haben mir ebenfalls sehr geholfen!
Liebe Heike, du hast das für mich so verständlich gemacht, warum du diese schwere Zeit mit so viel Kraft für andere Betroffene meistern kannst, dass ich nun verstehe, wie Du mit dem Ganzen so haderst und doch gut zurecht kommst….und ich kann nur hoffen, dass wir uns irgendwann mal wieder treffen können. Ich würde Dich so gerne umarmen!
Liebe Elke, ich danke Dir sehr für Deine lieben Worte! 🙂
Auch ich würde mich freuen, wenn wir uns endlich mal wiedersehen und umarmen könnten! Ganz liebe Grüße, Heike