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*SORGLOSIGKEIT

Wehmütig schaue ich manchmal zurück – zurück in eine Zeit, die ich voller SORGLOSIGKEIT entfalten konnte, voller Lebensfreude und Zuversicht… Zurück in eine andere Zeit, in eine Zeit OHNE MS, ohne die Symptome der MS.
Und ich spüre, dass das Zurückblicken gar nicht einfach ist. Denn wo soll ich hinschauen? In welche Zeit soll ich zurückblicken? In eine Zeit, die mir schon verschollen erscheint. Nicht mehr existent, nicht mehr real… In eine „andere“ Zeit.
Und wenn ich mal auf die Schnelle zurückblicke, dann finde ich diese Zeit nicht mehr. So weit entfernt ist sie, so außerhalb meines momentanen Blickfeldes….
Ich muss mich schon bemühen und ganz genau hinschauen. Ich komme unweigerlich im Jahr meiner Diagnosestellung an. Das sind jetzt 20 Jahre her. Und noch mindestens ein Jahr davor – sogar noch weiter zurück muss ich… Dann merke ich, komme ich so langsam an den Punkt, wo eine gewisse Sorglosigkeit noch da war.
Ich meine damit nicht, dass es eine Zeit ohne Sorgen gewesen wäre: ich hatte damals 2 kleine Kinder, mein Vater und meine Großmutter waren gestorben, aber ich meine eine Zeit der Unbekümmertheit. Eine Zeit, in der ich mir keine großen Gedanken und Sorgen um meine gesundheitliche Verfassung machen musste (außer natürlich den üblichen normalen kleinen Krankheiten). Es war eine Zeit, in der ich mir niemals Gedanken machen musste, ob ich noch bis zur Bushaltestelle kaufen kann, ob ich überhaupt laufen kann und ob meine Beine so unendlich schwer werden und sind, dass ich an manchen Tagen kaum einen Fuß heben kann. Ob ich einen dringend benötigten Sitzplatz finde… einfach drauf los „gehen“ und leben …
Oder meine Energie: ich war immer sehr energiegeladen. Voller Kraft und Spannung und mitten im Leben. Wo ist sie, diese wundervolle Energie? Nie musste ich mir zu dieser Zeit Sorgen machen, ob ich meinen Alltag schaffe, oder wie ich zig Termine an einem Tag unter den Hut bringe, bzw., ob ich sie schaffe. Es war einfach keine Frage. Ich hatte Pläne, habe sie umgesetzt und geschafft. Ich lebte in der Gewissheit, meinen Tag, mein Leben zu schaffen, mit allem, was da komme.
Das verschaffte mir trotz Stress mit Kindern und Beruf eine gewisse Ausgeglichenheit, ein Geborgensein und vor allem eine Leichtigkeit.

 

Ich möchte nicht jammern: mir geht es nach 20 Jahren MS immer noch recht gut und ich kann mit Stolz sagen, dass ich mein Leben schaffe, mein jetziges eingeschränktes und nicht mehr so lebendiges Leben. Ich schaffe es, ich kämpfe und lasse mich nicht unterkriegen. Aber mit Wehmut suche ich doch ab und an diese wundervolle Sorglosigkeit, mit der ich in den Tag gestartet bin. Diese habe ich wirklich verloren, denn mit MS weiß man nie, was der Tag, allein schon das Aufstehen, bringt. Man weiß nie, ob man seine Pläne verwirklichen kann an diesem oder dem nächsten Tag, man weiß wirklich nie, ob man die Kraft dazu hat, oder überhaupt Kraft hat, aufzustehen. Das ist anders geworden. Man gewöhnt sich daran, man muss sich daran gewöhnen. Hallo MS ©2014 Heike Führ/multiple-arts.com!