1 Glas Sekt später scheint die eben noch zerbrochene in Scherben liegende Welt wieder ok.
Nicht gut, aber ok.
„OK.“
Ein neues Wort in meiner MS-Sprache.
„Wie geht es Dir?“ – „OK!“
„Wie war die Nacht?“ – „OK!“
Es scheint ein Wort wie „hmmmmmm“ zu sein – ein Wasserfall an Aha und Erlebtem.
Mir geht es OK.
Und doch hatte ich gerade über eine Stunde lang einen äußerst heftigen Fatigue-Anfall!
Das hatte ich in der Form schon lange nicht mehr. Immerhin hatte ich Glück, lag sowieso gerade auf der Couch und brauchte nur zur Seite zu kippen. Und zu warten, bis er vorbei ist – was aber dieses Mal sehr lang auf sich warten ließ. Als es nach einer dreiviertel Stunde etwas besser wurde, konnte ich mich zum Kühlschank schleppen und mein „Allheilmittel“ gegen Fatigue zu holen: ein Gläschen Sekt. Ich gebe zu – ich hatte keine Kraft mehr ihn mir stilvoll einzugießen, sondern habe ihn direkt aus der praktischen Discounter-Dose getrunken… Im Liegen…. Genuss??? Nein, pure Medizin, die mir zwar wissentlich hilft, aber auch noch den ungebetenen Gast Herrn Uhthoff mitbringen kann, da mir natürlich beim Trinken warm wird.
Ein Glas Sekt später und über eine Stunde Leid, Trauer, Wut und Verzweiflung später – der Anfall hat nachgelassen, aber es ist immer noch da.
Wer es nicht kennt, kann sich nicht im Entferntesten vorstellen, was in dieser Zeit passiert ist, was für ein unsichtbarer Tsunami über mich hinweggefegt ist, welche Zerstörungswut er mitgebracht hat und wie er meinen Körper und meine Seele verwüstet hat.
Vielleicht hat es mich heute so sehr mitgenommen, weil „die Tage“ mal jemand snobistisch meinte, meine Texte seien destruktiv. Jemand, der Fatigue sicherlich nicht kennt, der Partner in diesem Ausmaß offensichtlich auch nicht und der es sich anmaßt, ungefragt seine hochinteressante Meinung darlegen zu müssen. Eine Stunde dieser Fatigue, und diese Person wäre ausgeknockt. Yep! Erledigt und mundtot. Ich wünsche es niemandem, wirklich nicht, aber immer diese unnötigen missgünstigen Bemerkungen – die müssen so gar nicht sein und unter MS`lern schon überhaupt nicht.
Ein Glas Sekt später sagen taube Beine „Hallo MS“, sagen ein tauber Trigeminusnerv und zittrige Hände, eine schwache Blase und eine geschundene Seele flüsternd „Hallo MS!“.
Das Glas wirkt…hicks…. es lebe das Gläschen Sekt und dass es etwas gibt, das mir hilft! © 2016 Heike Führ/multiple-arts.com
Die Grafik und weitere tolle Artikel gibt es hier: http://einblick.ms-persoenlich.de/portfolio/was-die-leute-denken-fatigue-aus-der-sicht-von-heike-fuehr/